Die ersten Zuhoerer kamen schon vor halb acht. Spaeter waren es einige tausend, zehntausend - vielleicht - man kann die Zahl nur schätzen. In den Strassen rund um den Ribbebeckplatz standen einige hundert Wagen. Auf dem Dach eines Lieferwagens war das Mikrophon. Das Wagendach
ist Pater Leppichs Kanzel. Aus den grossen Lautsprechern toente Beethovens
Fuenfte. Helfer der Essener Gruppe der Aktion 365 standen bereit,
um Schallplatten und Buecher zu verkaufen. Es war kuehl.Von fern blinkte
Leuchtschrift. "Vorerst gibt es keine zusaetzlichen VFBA-Aktien."
Pater Leppich klettert die Leiter hoch, und schon steht er am Mikrophon.
"Es geht wieder los, puenktlich wie die Maurer, aber nicht so gut bezahlt
wie die Maurer." Er dirigiert die Menge auf dem Platz.
In der ersten Viertelstunde gibt er Hinweise auf seine Buecher, seine Schallplatten. ("Soll sich der Alte doch mal eine Stunde in der Kneipe anhören - und er geht in die Knie.") und auf das, was er sonst noch plant. Und dann - es ist, als schalte er einen anderen Gang ein - beginnt seine
Predigt. "Soll ich eine Weibrauchpredigt halten?" Er bekennt, daß
er Angst hat - kein Lampenfieber, aber Angst, dass man ihn nur als Sensation
nimmt. Er stimmt sein Thema an - "Dolce-vita Bolsche-vita" - und
er sagt: "Ich werde keine politischen Backpfeifen austeilen, ich werde
wie ein Priester reden." Und: "Ich moechte den Kommunismus sehr ernst nehmen.."
"Ich bin kein Bekehrungsroboter", ruft er. 'Er wettert gegen die Spaltung der Kirche: "Wir haben die gleiche Taufe." - "Wenn die da oben zu langsam machen, fangen wir doch unten an. Denn Christus hat uns ein Vermaechtnis gegeben." Und immer wieder - kurze Selbstverteidigung: "Natuerlich klage ich an." - "Und wem diese meine Sprache nicht paßt.... der geh doch weg." Er knoepft sich die Politiker vor: "Sie waschen zuviel dreckige Waesche voreinander. Er urteilt: "Deutschland ist rnittlerweile ein religioes unter- entwickeltes Land geworden." - "Wirtschaftlich sind die Deutschen Riesen, geistig sind sie Boulevardtypen geworden." Er ruft: "Soll Deutschland der Saustall Europas werden?" Und er sagt auch: "Lieber etwas unrecht machen im heiligen Zorn." Leppich findet Zuhoerer. Man lacht, man froestelt. Pater Leppich laesst an Deutlichkeit nichts zu wuenschen uebrig. Und sicher hat er haeufig recht, und sicher kann man ihm ebensooft widersprechen. Der Massenredner vereinfacht. Er fragt: "Was ist zu tun? Der Massenredner glaubt nicht mehr an die Masse." Und zum Abschluss fordert er die Leute auf, zu handeln, mitzumachen. "Du bist nicht in Oberammergau, du bist in Essen." - "Ich suche dringend einen Radiotechniker für Indien." Pater Leppich, der Massenredner, der Prediger der Strassenkanzel, vertraut weniger auf das Wort als auf die Tat. Nur die Aktion zaehlt in der Zukunft. N.B.
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Wir - von der Aktion 365 - haben ca. 20.000 Zuhoerer gezaehlt. Und
ich hatte die volle Verantwortung - angefangen von den (ungenehmigten)
Reklameplakatierungen, Autokorsos mit Cocacola-Lautsprecherwagen - im gesamten
Grossstadtbereich mit ca. 200 Helfern - als Organisator. Das bedeutet,
- ich hockte im Uebertragungslieferwagen ( auf dessen Dach der Pater predigte
) neben den laufenden Tonbandgeraeten. Alles musste wegen der zu erwartenden
Angriffe nach der Predigt "rechtsanwaltreif" dokumentiert sein. Neben mir
hockten unsere Techniker fuer die bulligen Lautsprecheranlagen. Des Paters
Stimme hallte von den Waenden der Verwaltungshochhaeuser in der Stadtmitte
zum Kundgebungsplatz zurueck. - Ein monumentales Unternehmen.
Und dann - ich werde das nie vergessen - hörte ich nach
Schluss der Predigt, als die Menschen nach Hause draengten und eines der
in Einsatzbereitschaft am Platzrande postierten DRK-Autos hysterisch in
die Menge zu fahren drohte . . .
( Vorsicht : Massenpsychose!!! - da helfen bei 20.000 Leuten
im Erstfall auch keine 50 Motorradpolizisten nicht mehr. - ) ,. . .
also hoerte ich den Pater wuetend in´s Mikro bellen: "Wo ist hier
??" Innerhalb von ca. 5 Sekunden war ich die
Eisenleiter auf das Dacht hinaufgeflitzt, stand neben meinem Pater Leppich
SJ. und antwortete ihm laut und deutlich in´s Ohr: "Hier!!"
- - - (
"Ruhe im Dom." )
Vielerlei hatte ich im Laufe der Zeit unserer Freundschaft zu verantworten.
Vielerlei habe ich ganz sicher haarstraeubend falsch gemacht. Jedoch.:
Niemalshat
Pater Leppich vor der Oeffentlichkeit oder unter vier Augen seine Loyalitaet
zu mir anfragen lassen. Er stellte sich, trotz meiner haeufig verwegenen
Alleinentscheidungen immer total hinter mich. -
Es war ungeheuerlich, - selten und kostbar!
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