073
Der Gerechte & Der Soziale
(zugehört)
Soeben bei n-tv-Maischberger, 05.05.2003, Uhr 17,15
Zu Gast: Friedrich Merz,
CDU, stellv. Fraktionsvorsitzender
Christian
Ströbele, Grüne, stellv. Fraktionsvorsitzender
Thema: Nach dem Kompromissvorschlag: Wie weit die Union von der Agenda
2010 entfernt?
Wiederstand gegen Schröders
Reformpläne.
--
(Zitate nur sinngemäß und ohne Gewähr.
Protokollierung nur nach Interessenlage und zeitlicher Möglichkeit
von C.Elmar Schulte-Schulenberg. Oder: „Omne quod recipitur – ad modum
recipientis recipitur.“
Hiermit ausdrückliche Distanzierung
von allen Linkinhalten im Sinne von persönlichem Haftungausschluß
nach neuester Rechtsprechung. )
--
SM Sandra Maischberger
M Friedrich Merz
S Christian Ströbele
START
SM
Merkel praktiziert „Stoiber light“ – wg. Stoiber-Wahlkampf?
M
Nein.
(Routinesitzung)
SM
Roman Herzog jetzt (nach „Routinesitzung“) überflüssig?
M
Nein
SM
Rentenreform a la Stoiber nur so lange, bis Herzog kommt?
M
Nein
SM
Wenn Herzog – „Rente mit 70“ macht, ist das bei Ihnen OK?
M
Nein
SM
Spätere Rentnergenerationen Abstriche?
M
Ja.
SM
Arbeitslosengeld mit dem Label „Stoiber light“ OK?
M
Nein
SM
Merkel + Stoiber beim Arbeitslosengeld weniger rigoros als Sie?
M
Nein
SM
Sind Sie weniger rigoros als Herzog beim Arbeitslosengeld?
M
Nein
SM
Karenzmonat (25%), Ente?
M
Nein
SM
Fazit: Sie, CDU und Herzog haben „Abstimmungsbedarf“?
M
Nein
SM
Werden zukünftig auch gegen Sie Arbeitgeberschaft agieren (müssen)?
Ja
Werbe-PAUSE
SM
Gehen die Linken so weit, den Kanzler zu kippen?
S
(keine Antwort)
SM
Organisieren Sie – im Endeffekt - die Mehrheit?
S
Nein
SM
Kritik an Agenda 2010 jetzt Kardinalthema für Sie?
S
Ja
SM
Soziale Gerechtigkeit fehlt (in Agenda) wo?
S
Detailantworten. (Seine Fakten stammen von FraktionsspezialistInnen und
TV-Monitor)
SM
Mit Kreisverbänden Münster definierten Sie „Neins“. Wo sagen
Sie Ja?
S
(Spezifiziert weiter „Neins“. Bringt kein Ja.)
SM
Spitzensteuersatz hoch lassen?
S
Ja.
SM
Mehrheit bei den Grünen neoliberal?
S
Nein ( Immer wieder „Soziale Gerechtigkeit“
als platter Slogan.)
SM
Teil – und Minijobs als jetziger Vorschlag Ok?
S
Nein
SM
Abschläge bei Frühverrentung Ok?
S
Ja
SM
Fazit: Wollen Sie das „Gesetz“ kippen?
S
Nein
SM
Muss der Parteispendenuntersuchungsausschuss in Sachen Kohl wiederbelebt
werden?
S
Ja
SM
Wird das Begrüßungsritual zwischen Ihnen
und Herrn Merz so (schlecht) bleiben, wie heute?
S
Ja
------
(Die - Gentleman - Merz und Ströbele hatten
sich bei Ihrer Begegnung im Studio-Maischberger - nicht einmal - die Hände
gereicht.
Würdigen wir den
Umstand, daß beide Männer als
Vorsitzende einer - momentan jeweils ausschlaggebenden Gesetzgebungskraft - installiert
sind, so macht ein derart barbarisches Benehmen - in einem rein kommunikationstechnischen
Sinne - besorgt. Es erhebt sich bei ihrer Leistung die Frage nach ihrer
"Basis-kompetenz" und Konsensfähigkeit.
- Trillerpfeifensyndrom-
)
---
END
Bye!
Carl-Elmar Schulte-Schulenberg
BAK to
index
Christian Ströbele
"[...]In Deutschland hat der Begriff Fundamentalismus in der Politik
zuerst bei den Grünen eine Rolle gespielt (siehe oben). Nachdem sie
1983 erstmals in den Bundestag gewählt worden waren, entstanden bald
innerparteiliche Auseinandersetzungen, in denen sich die so genannten „Fundis”
oder Fundamentalisten und die „Realos” oder Realpolitiker gegenüber standen.
Der Streit entfachte sich an der grundsätzlichen Frage, wieweit die
Gründungsideen der Grünen in der Position politischer Verantwortung
verfochten werden können. Während die „Realos” bereit waren, Konzessionen
an die aktuelle Politik zu machen, waren die „Fundis”, unter ihnen Rudolf
Bahro, Rainer Trampert, Jutta Ditfurth oder Christian Ströbele,
für eine kompromisslose Verfechtung der Ideale grüner Politik und
zum Teil auch linkssozialistischer Bestrebungen in der Tradition der Studentenbewegung.
In neuerer Zeit stehen innerhalb der Partei der Grünen auch die Ideale
der Fundamentalisten wie unbedingter Pazifismus und Technologiekritik zur
Disposition.[...]"
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( Allgemeine Copyrightanmerkungen
des Autors )
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Noch: Ströbele (& Genscher)
Dazu Gesprächsankündigung des Senders mit Frau Maischbergers Sendungsportrait:
"[...]Montag, 23. September 2002
Zu Gast:
> Hans-Dietrich Genscher, FDP, Ehrenvorsitzender der FDP, Ex-Außenminister
> Hans-Christian Ströbele, B'90/Grüne, erster direktgewählter
Bundestagsabgeordneter der Grünen
Thema
zum Wahlausgang
(Chat mit Sandra Maischberger am 2. Juli 2002)
Die (Maischberger-) Sendung
Sandra Maischberger lädt sich den „Menschen des Tages“ ins n-tv Studio
ein, um mit ihm über das zu sprechen, was am nächsten Tag in den
Zeitungen steht. Die 34-jährige ist eine der konstanten Größen
im Fernsehen, wenn es um niveauvolle Gespräche geht. Die renommierte
Journalistin befragt gern Menschen, ohne dabei nur an der Oberfläche
zu kratzen oder zu verletzen. Und: sie lässt die Zuschauer gern von
ihrem Wissensdurst profitieren. Nach acht Hörfunkjahren sowie als Moderatorin
verschiedener TV-Magazine und Interview-sendungen nahm sie bei n-tv gern
die Chance und Herausforderung an, die ihr die Konzentration auf einen täglichen
Gast bietet. Dafür bekam sie den deutschen Fernsehpreis, den Hans-Joachim-Friedrich-Preis
sowie den Bayerischen Fernsehpreis.
Das inhaltliche Spektrum ist für Sandra Maischberger dabei so vielfältig
wie das einer Tageszeitung. Sie sagt: „Ob Parteispendenaffären oder
Landtagswahlen, ein neues Krebs-Medikament oder der Rücktritt eines
Spitzensportlers – meine Sendung bietet Platz für ein ausführliches
Gespräch zu jedem Thema, das die n-tv Zuschauer und mich interessiert.“
Erstsendung montags bis donnerstags um 17.15 Uhr. Wiederholungen der Sendungen
um 20.15, 00.15 und 3.15 Uhr.
Freitags um 17.15 Uhr Maischberger Kompakt mit den besten Gesprächen
der Woche. Wiederholungen am Freitag um 20.15, am Samstag um 0.15 und 3.15
sowie am Montag um 2.15 Uhr. [...]"
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Schulte-Schulenbergs Geprächsbeitrag nach dieser Sendung im
n-tv-Forum18 ( Alias: charly1 )
http://www.n-tv.de/foren/programm/fernsehen/FORUM18/msg171413.php
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"Ströbele" finden Sie in meinen Mitschriften unter folgenden
Links.
http://www.schulte-schulenberg.de/n-tv/048.html
http://www.schulte-schulenberg.de/n-tv/019.html
http://www.schulte-schulenberg.de/n-tv/018.html
"Merz" finden Sie in meinen Mitschriften
unter folgenden Links.:
http://www.schulte-schulenberg.de/n-tv/050.html
http://www.schulte-schulenberg.de/n-tv/034.html
http://www.schulte-schulenberg.de/n-tv/013.html
http://www.schulte-schulenberg.de/n-tv/Textbeitrage/textbeitrage.html
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Roman Herzog
Herzog, Roman (*1934), Jurist und Politiker, Bundespräsident der Bundesrepublik
Deutschland (1994-1999).
Roman Herzog wurde am 5. April 1934 in Landshut geboren. Nach dem Besuch
des Gymnasiums in Landshut studierte er in München Rechtswissenschaft,
legte 1957 die erste juristische Staatsprüfung ab, 1958 promovierte
er und übernahm eine Stelle als Wissenschaftlicher Assistent am Lehrstuhl
des Staatsrechtlers Theodor Maunz. Nach der zweiten juristischen Staatsprüfung
1961 arbeitete Herzog am Evangelischen Staatslexikon mit, 1964 habilitierte
er sich und war anschließend weitere zwei Jahre als Privatdozent an
der Universität München tätig. 1966 erhielt Herzog an der
Freien Universität in Berlin eine erste Professur für Staatsrecht
und Politik, und 1967/68 stand er der juristischen Fakultät als Dekan
vor. 1969 wechselte er als Professor an die Hochschule für Verwaltungswissenschaften
in Speyer; 1971 wurde er ihr Rektor.
1973 wechselte Herzog, seit 1970 Mitglied der CDU, von der Wissenschaft
in die Politik: 1973 wurde er vom damaligen rheinland-pfälzischen Ministerpräsidenten
Helmut Kohl zum Staatssekretär ernannt und vertrat fünf Jahre
lang das Land als Bevollmächtigter beim Bund in Bonn. 1978 wechselte
Herzog als Minister für Kultus und Sport in die Landesregierung Baden-Württembergs.
1980 wurde er in den baden-württembergischen Landtag gewählt und
übernahm nun das Innenressort.
1983 zum Vizepräsidenten und 1987 zum Präsidenten des Bundesverfassungsgerichts
in Karlsruhe gewählt, verfolgte Herzog als Vorsitzender Richter des
Ersten Senats einen liberalen Kurs. Nach der deutsch-deutschen Wiedervereinigung
1990 lehnte er eine vollständige Revision des Grundgesetzes ab, sprach
sich aber für Anpassungen und teilweise Veränderungen der Verfassung
sowie für mehr Kompetenzen der Bundesländer und eine Ausweitung
des Plebiszits aus. Im Zusammenhang mit der Asyldebatte 1992 kritisierte
er das überholte Staatsangehörigkeitsrecht; zudem rügte er
die zunehmende Verlagerung politischer Auseinandersetzungen vor das Bundesverfassungsgericht.
1994 setzte sich Herzog als Kandidat der CDU/CSU für das Bundespräsidentenamt
in einer Kampfabstimmung gegen den SPD-Kandidaten Johannes Rau durch; am
1. Juli 1994 trat er die Nachfolge Richard Weizsäckers an. Er erwarb
sich Verdienste u. a. um die Förderung der inneren Einheit Deutschlands
und die deutsch-polnische Aussöhnung. Gegen Ende des Jahres 1996, in
dem er zum beliebtesten deutschen Politiker gewählt worden war, gab
Herzog bekannt, dass er sich 1999 nicht mehr für das Amt des Bundespräsidenten
zur Verfügung stellen wolle. Im Januar 1997 wurde Herzog für seine
Verdienste um „ein Europa der Bürger” mit dem Karlspreis der Stadt
Aachen ausgezeichnet, und im Mai 1997 erhielt er zusammen mit dem tschechischen
Präsidenten Václav Havel in New York den vom Institut für
Ost-West-Studien (IEWS) verliehenen European Statesman Award. Unter Herzog
nahm im November 1998 das Bundespräsidialamt als erste Bundesbehörde
in Berlin die Arbeit auf.
Am 1. Juli 1999 löste Johannes Rau Herzog im höchsten deutschen
Staatsamt ab. Im Dezember 1999 wurde Herzog zum Vorsitzenden des von den
Mitgliedsstaaten der EU beschickten Konvents ernannt, der eine Grundrechtscharta
der Europäischen Union erarbeiten sollte. Im Oktober 2000 legte die
Kommission den Entwurf der Charta dem Europäischen Parlament und dem
Europäischen Rat vor; an der relativ raschen Fertigstellung war Herzog
maßgeblich beteiligt.
Verfasst von:
Roland Detsch
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( Allgemeine Copyrightanmerkungen
des Autors )
Roman Herzog: 50 Jahre Bundesrepublik
An historischer Stätte, im Berliner Reichstagsgebäude, hielt
der damalige Bundespräsident Roman Herzog am 24. Mai 1999 eine Rede.
Thema der Ansprache war das 50-jährige Bestehen der Bundesrepublik
Deutschland. In dem ausgewählten Abschnitt der Rede beschäftigt
sich Roman Herzog vor allem mit dem Begriff Freiheit und
der gegenwärtigen Situation in Deutschland.
Roman Herzog: 50 Jahre Bundesrepublik
Unser Staat ist zuallererst ein freiheitlicher Rechtsstaat, der die Rechte
und Würde seiner Bürger gewährt und sichert. Als die Mitglieder
des Parlamentarischen Rates den Artikel 1 des Grundgesetzes formulierten
(„Die Würde des Menschen ist unantastbar”), hatten sie keine unverbindliche
Feiertags-Losung im Sinn. Sie wollten zunächst die radikale Absage
an jeden Totalitarismus und an jede Staatsüberhöhung. Sie wollten
einen dienenden Staat, der für die Menschen da ist – und nicht die Menschen
für ihn.
Dahinter steht freilich auch eine Erwartung an den Einzelnen: die Erwartung,
daß er seine Freiheit zur Gestaltung nutzt – für das eigene Schicksal
und für die Gemeinschaft.
Das ist eine unverzichtbare Bedingung der Freiheit, denn es gibt keine
nur individuelle Freiheit. Frei können wir nur gemeinsam sein. Freiheit
funktioniert nicht, wenn der Einzelne immer nur Rechte für sich in Anspruch
nimmt und immer mehr Verantwortung den anderen aufbürdet – ob nun dem
„Staat” oder einer anonymen „Gesellschaft”. Ohne den Einsatz des Einzelnen
für die Gemeinschaft ist auf die Dauer jedes Gemeinwesen überfordert.
Und Freiheit ist mehr als nur inhaltsleere Abwesenheit von Zwang. Wir haben
uns immer wieder zu fragen, wozu wir sie nutzen, welchen Inhalt und Sinn
wir ihr geben wollen. Sie braucht Verstand und Phantasie.
Und: Freiheit braucht auch das Wissen um Tradition, um Werte und Ideale.
Sie sind die wichtigste Voraussetzung für eine fundierte Kritik an
der jeweils gegenwärtigen Wirklichkeit und für ein Denken in Alternativen.
Der richtige verantwortungsvolle Umgang mit der Freiheit kommt nicht von
selbst. Auch hier liegt ein zentraler Erziehungs- und Vermittlungsauftrag
für alle: für die Elternhäuser, die Schulen, die Institutionen
– und auch für die Medien. (…)
Der Staat muß sich dem Bürger als „Beteiligungsstaat” präsentieren.
Dann hat er es auch nicht mehr nötig, sich durch die – am Ende doch
nicht haltbaren – Versprechen eines perfekten „Versorgungsstaates” Zustimmung
zu erkaufen. Warum setzen wir uns nicht einmal hin und versuchen gemeinsam,
Modelle und Lösungen zu entwerfen, die sowohl den Bedürfnissen
des Staates als auch denen der Bürger und der kleineren Einheiten gerecht
werden? Und das – ein einziges Mal – ohne die Totschlagargumente beider Seiten,
die wir so satt haben?
Und ganz abgesehen davon: Es gibt auch Bereiche, in denen wir überhaupt
keine kollektive Ausgestaltung brauchen, wo der menschliche Geist ganz allein
auf sich gestellt ist und doch dem Ganzen dient.
Kreativität, künstlerische Arbeit und Kultur gehören zu
den wesentlichsten Elementen einer lebendigen Gesellschaft. In Wissenschaft,
Kunst und Kreativität erprobt die Freiheit sich selbst, und hier entdeckt
sie neue Möglichkeiten des Sehens und des Selbstverständnisses
von Individuum und Gemeinschaft.
Zur Freiheit gehört es schließlich, die Folgen des eigenen Handelns
auch selbst zu verantworten. Verantwortung ist die unausweichliche Konsequenz
der Freiheit. Das scheint heute nicht immer ganz klar zu sein. Immer mehr
neigen wir dazu, die unangenehmen Folgen unseres Tuns zu sozialisieren,
über die nützlichen aber privat zu verfügen. Das muß
ein Ende haben. Wenn alle glauben, daß „der Ehrliche immer der Dumme”
sei, braucht sich niemand über die Folgen zu wundern.
Wir sollten es überhaupt wieder mehr zur Kenntnis nehmen: Die Zustimmung
der Bürger zu unserem freiheitlichen Gesellschaftssystem ist keine
Selbstverständlichkeit, gerade nicht in einer Zeit, in der dieses aufhört,
immer neue Wohltaten zu produzieren. Die Zustimmung zu Freiheit und Demokratie
hängt auch mit dem Grundgefühl der Bürger zusammen, ob es
ihnen „gut geht” und ob sie „gerecht” behandelt werden, und dieses ist wiederum
eng mit dem Vertrauen verknüpft, das man den politischen Institutionen
entgegenbringt. (…)
Wichtig ist aber vor allem, daß die Bürger Vertrauen in die
Kompetenz und die politische Führungsfähigkeit der Amtsträger
haben. Gerade in Zeiten der Unsicherheit und des Reformbedarfs ist es besonders
wichtig, daß auch langfristige Absichten bestehen und immer wieder
erkennbar werden.
Politik, so hat Max Weber gesagt, ist das Bohren dicker Bretter. Gewiß
stehen dem oft die Gesetze der Mediengesellschaft entgegen, in der Schnelligkeit
die oberste Tugend und alles, was sich nicht in zwei Minuten abhandeln läßt,
„unverkäuflich” ist. Wir sollten unsere Mitbürger da aber nicht
unterschätzen. Als jemand, der keinen Wahlkampf zu führen hat
und nicht der vermeintlichen öffentlichen Meinung hinterherlaufen muß,
habe ich mehrfach versucht, Themen in die öffentliche Debatte zu bringen,
die erst auf lange Sicht bedeutsam sind: die Reform unseres Bildungssystems,
die Erneuerung der demokratischen Institutionen, den Dialog zwischen den
Kulturen der Welt. Meine Erfahrung dabei war stets: die Bürger haben
sehr wohl verstanden, daß auch die Beschäftigung mit solchen Themen
notwendig ist, die nicht mit zwei fernsehgerechten Sätzen zu vermitteln
sind. Ich bin überzeugt: Wer Führung zeigt, wird auch vom Bürger
unterstützt werden. Denn der Bürger weiß dann, in welche
größeren Zusammenhänge die einzelne Maßnahme – und
auch der Streit über sie – einzuordnen ist. Das gibt ihm Sicherheit,
und daraus wieder entsteht Vertrauen.
Demokratie und Freiheit stehen heute vor zwei großen Herausforderungen:
Wie können wir in einer sich globalisierenden Wirtschaft auch künftig
Wohlstand schaffen, und wie wahren wir dabei das Ziel der Gerechtigkeit,
soweit sie sich unter Menschen überhaupt herstellen läßt?
Demokratie und Grundgesetz haben sich in Deutschland nicht zuletzt deshalb
Anerkennung erworben, weil mit ihnen Wohlstand kam. Die Erfolgsgeschichte
der alten Bundesrepublik war deshalb auch eine Erfolgsgeschichte der sozialen
Marktwirtschaft.
Was aber ist, wenn es einmal keine Zuwächse zu verteilen gibt, oder
sehr viel kleinere als früher? Beginnt dann auch die Zustimmung zur
freiheitlichen Gesellschaftsordnung zu wanken? Erscheint am Ende das Ziel
der Gleichheit verlockender als das Versprechen der Freiheit?
Die Überlegenheit der sozialen Marktwirtschaft über jede Form
der Kommandowirtschaft war eine der prägenden Erfahrungen der vergangenen
Jahrzehnte. Das darf uns aber nicht zu dem Mißverständnis verleiten,
soziale Marktwirtschaft wäre etwas Statisches. Ihre Spielregeln müssen
sich immer wieder an die Entwicklung von Technik, Wirtschaft und Gesellschaft
anpassen. Soziale Marktwirtschaft heißt auch nicht zügelloser
Wettkampf aller gegen alle nach dem Recht des Stärkeren. Sie verlangt
ein Regelwerk, das ein Gleichgewicht der Kräfte organisiert, den Wettbewerb
vor dominierenden Monopolen schützt und der Sozialbindung des Eigentums
Rechnung trägt.
Bundespräsidialamt, Bonn 1999
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